Offener Brief der Stadt Crivitz
…. an Landes- und Bundesregierung zur drastischen Erhöhung der Energiekosten!
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Olaf Scholz
sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Manuela Schwesig,
was haben wir uns gefreut als wir als Grundzentrum vor etwa einem Jahr erfuhren, dass wir finanzielle Unterstützung aus dem Wirtschaftsministerium bekommen für eine City-Manager-Stelle und ein Aktivitätsbudget in Höhe von 50.000 €. Das Projekt nennt sich „Lebendige
Innenstädte“. Wir haben uns beworben und die Zusage erhalten. Die Freude war groß.
Wir haben Pläne geschmiedet, wie wir diese Möglichkeiten zur Unterstützung des Handels, der innerstädtischen Unternehmen aber auch für die Bürgerinnen und Bürger einsetzen können. Wir führen aktuell kleine Workshops durch-alles, um die Unternehmen nach der
Corona Krise wieder möglichst schnell in Schwung zu bringen.
Im Moment beschäftigen sich die Unternehmen sowie deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damit, wie sie überhaupt die explodierenden Energiekosten und im Kreislauf dann auch alle Dinge des Lebensunterhalts. Lebensmittel usw. zukünftig leisten können. Menschen werden
in Not geraten, Unternehmen werden aufgeben. Der soziale Frieden wird erheblich gestört, denn plötzlich werden Menschen bedürftig trotz Arbeit, selbst wenn der Arbeitgeber nicht aufgibt.
Schon am Rande des ersten Workshops vor zwei Wochen sprach ich mit einem Unternehmer, der mit Kurzarbeit durch die schlimmste Corona Krise kam, dann mit der Materialknappheit zu tun hatte, jetzt mit den Energiekosten kämpft und nun auch noch Anfragen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abwehren muss, die in ihrer Not gern die bis zu 3.000 € steuerfreie Inflationspauschale vom Arbeitgeber erhalten möchten. Er steht in
diesem Spannungsfeld und muss erklären, dass er sich dazu in Anbetracht der anstehenden Energiekosten nun sogar in der Gefahr steht, die Produktion einstellen zu müssen. Woher soll er dann noch das Geld nehmen, um seine Leute finanziell zu unterstützen. Hier geraten
Menschen nicht nur in finanzielle Not, sondern auch in seelische Not.
Am Donnerstag findet bei uns der Wochenmarkt statt. Ich fand die Fischverkäuferin lesend hinter ihrem Tresen. Das war für mich ein ganz ungewöhnliches Bild und so fragte ich Sie, ob heute nichts los sei. Sie antwortete mir, dass einfach keine Kundschaft kommt. Nun ja, frischer Fisch ist auch schon fast ein Luxusartikel geworden. Kaum jemand kann sich das inzwischen noch leisten. Die Menschen haben aus Angst auch ihr Einkaufsverhalten geändert. Sie sparen auch dort, wie sonst soll eine Familie oder ein alleinstehender Mensch mit verdoppelten bis verdreifachten Strom- und Gaskosten über die Runden kommen.
Eine Rentnerin berichtete mir, dass ihre Kosten so hoch geworden sind, dass ihre Renten zusammen nicht ausreichen. Sie hat ausgerechnet, dass sie etwa 3000€ jedes Jahr vom Ersparten nehmen muss, um die Belastungen zu tragen. Wie gut, wenn sie denn noch Sparguthaben haben.
Unsere Crivitzer Tafel schlägt inzwischen wieder Alarm. Es kommen kaum noch Lebensmittel über die Supermärkte. Die Spendenbereitschaft ist im Moment ebenfalls schwierig. Gibt es hierfür Mittel zur Unterstützung?
Sie werden vermutlich von vielen Menschen mit allen möglichen Ratschlägen bedacht. Dennoch will ich noch einmal deutlich meine Gedanken zum Ausdruck bringen. Sie haben letztlich die Fachleute dafür, um Machbarkeiten zu prüfen.
Bevor mit einer ganzen Fülle von Einzelmaßnahmen viel Geld und Bürokratieaufwand rausgetan wird und selbst dann die Gefahr besteht, noch nicht jedes Szenario bedacht zu haben, müssen Sie unbedingt von oben den Deckel auf die völlig irrationalen Energiepreisentwicklungen draufsetzen. Gerät ein Energieunternehmen in Schieflage, sollten es dann wie bei der Bankenrettung ähnlich funktionieren, dort zu stützen oder wie bei Uniper zu verstaatlichen.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien uss vorallen Wertschöpfung vor Ort bedeuten – nicht in Form von Geld, sondern vor allem als Energie!
Lassen Sie uns energieautark werden. Dann brauchen wir sowas wie Wärmestuben gar nicht erst planen. Ehrlich gesagt will ich den Moment nicht erleben, wo die Menschen auf soetwas angewiesen sind. Dann gerät vermutlich vieles völlig aus den Fugen. Wie soll das ablaufen? Wir fahren die Menschen, wenn sie denn überhauspt den Mut haben, um Hilfe zu bitten, in eine Wärmestube- so viele gasunabhängige geeignete Räumlichkeiten gibt es erfahrungsgemäß nicht. Nach einer gewissen Zeit, die noch zu defnieren wäre, bringen iwr sie dann wieder in ihre kalte Wohnung zurück?
All unsere Anstrengungen sollten stattdessen auf die Sicherstellung von Wärme und Strom gerichtet werden. Das geht aus meiner Sicht nur mit dezentralen Lösungen. Jeder Ort oder mehrere Orte zusammen brauchen die Möglichkeit, den eigenen Energiebedarf selbst zu produzieren und zu nutzen und im Solidarpakt noch etwas mehr obendrauf zupacken für die Ballungsgebiete. Mit kurzen Wegen vom Produzent zum Versorger gibt es weniger Verluste. Ähnlich wie bei der Photovoltaik würde ich uns wünschen, dass wir die Windenergie direkt einspeisen können.
Wir haben ein innovatives Unternehmen kennengelernt, das relativ simpel für viele Haushalte Wärme und Strom als Anfallprodukt zur Verfügung stellen könnte. Allein die Aufstellung eines B-Planes verbraucht zwei Jahre. Der Bau braucht dann noch einmal 2 Jahre. Hierfür müsste dringend eine deutlich Verkürzung und Vereinfachung der Bearbeitungszeit stattfinden. Zudem brauchen wir mehr Unterstützung durch unabhängige Energieberater. Niemand im Amt kann das für uns leisten. Das Haushaltsrecht müsste bei Begründung der Notwendigkeit von Energiesparmaßnahmen wie z.B. Umrüstung auf LEDs als investive Maßnahmen zulassen können, dass auch bei Nichtplanung eine andere investive Maßnahme ausgetauscht werden kann. Also z.B. haben wir den Bau eines Spielplatzes geplant. Dieser wird nun verschoben, damit die Flutlichanlage vom Sportplatz umgerüstet werden kann.
Die Aufnahme von Krediten für Windenergie oder Photovoltaik durch die Gemeinden, die eigentlich nicht so eine hohe Finanzkraft haben, müsste trotzdem genehmigungsfähig sein, ohne dass ein Haushaltssicherungskonzept geschrieben oder freiwillige Leistungen gestrichen werden müssen. Wenn andere damit Geld verdienen , sollte das für Kommunen genauso möglich sein. Dafür brauchen wir eine flexiblere Haushaltsgestaltung zumindest für die kommenden zwei Jahre, wo die Gefahr unterbrochener Energiekreisläufe droht.
Auch die schnellere Unterstützung innovativer Ideen müsste Vorrang haben. Schon längst gibt es die Möglichkeit Windenergie auf andere Weise zu nutzen ohne Flügel, die die meisten Akzeptanzprobleme und auch Belastung für Mensch und Natur mitbringen. Die Uni Rostock ist hier mit unserem Crivitzer Bürger Werner Vogel schon seit einigen Jahren dran, aber keiner scheint sich dafür zu interessieren, dass der Prototyp gebaut und ein
Versuchsfeld zur Verfügung gestellt wird. Wir hatten dieses Projekt vor zwei Jahren Herrn Pegel vorgestellt, aber Herr Vogel bekam bis heute keine Unterstützung aus dem Land. Die SVZ hatte vor einigen Jahren bereits darüber berichtet.
Wir haben so kluge Menschen in unserem Land. Lösungen liegen teilweise auf dem Tisch, finden aber zu wenig Beachtung. Warum müssen die bereits vorhandenen Windenergieanlagen immer wieder stillstehen? Warum können wir immer noch nicht genug Energie speichern? Die Aussage 2% der Landesfläche ist doch völlig irrwitzig, wenn noch mehr Anlagen stillstehen.
Wissen Sie, mir macht das alles große Sorgen als Mensch und vor allem auch als ehrenamtliche Bürgermeisterin. Wozu sollten die Unternehmen noch mit uns an dem Projekt lebendige Innenstadt arbeiten? Es erscheint doch völlig irrational in Anbetracht der doppelt in ihrer Existenz bedrohten Lage. Wenn sie nicht durch die Energiekosten kaltgestellt werden, fehlen ihnen die Menschen, die einkaufen kommen. Also steigende Kosten, sinkende
Einnahmen. Das macht mir so große Sorgen, dass hier bald gar nichts mehr funktioniert, Lieferketten zusammenbrechen, wie wir es selbst zu schlimmsten Corona Zeiten noch nicht erlebt haben. Manchmal konnte uns da auch Kreativität und die Umstellung auf die digitale Welt helfen.
Was wir jetzt erleben, scheint im Moment jedenfalls deutlich schlimmer. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Wenn Sie sich um die großen Lösungen kümmern, geben Sie uns kommunal mehr Handlungsspielräume, Energie für unsere Bürgerinnen und Bürger direkter zu nutzen und
vor allem schnell. Wenn jetzt schon klar ist, dass der Winter 2023/2024 noch eine größere Herausforderung werden soll, dann haben wir doch aber ein Jahr Zeit, auch dezentral etwas zu bewegen.
Aus meiner Sicht sind wir schon längst Kriegspartei geworden, allerdings in einem Energiekrieg. Dafür braucht es keine Waffen. Die Energie ist längst zur Waffe geworden.
Bitte haben Sie die Kraft und den Einfluss, uns Kommunen zu stärken, denn ohne uns funktioniert die ganze Gesellschaft nicht. Geben Sie uns die Hilfestellungen und ggf. auch schnelle finanzielle Unterstützung in Form von verkürzten Antragszeiten für Fördermittel und vereinfachte Abrechnungen. Unsere Verwaltungen sind längst überlastet mit den vielen langwierigen teilweise mehrere Jahre andauernde Verfahren. Für Genehmigungen könnten alle, die draufschauen müssen, an einen Tisch – Projekt vom Planer/ Bauherrn/ Investor vorstellen, Fragen stellen, Genehmigung prüfen-fertig. Ist noch etwas zu ändern oder zu überabreiten, werden die entsprechenden Hinweise eingearbeitet. Neue Runde-fertig.
Sie können entsprechend schnell Gesetze ändern oder vorübergehend außer Kraft setzen.
Für mich sind das die Hilfestellungen, die wir brauchen.
Mit freundlichen Grüßen
Britta Brusch-Gamm
Bürgermeisterin Stadt Crivitz